Interview mit Detlev Weber anlässlich seines Ausscheidens aus dem GKR
An einem Donnerstagnachmittag im Februar hatten Detlev Weber und Miriam Höppner (Redaktion) im Gemeinderaum der Martin-Luther-Kirche ein spannendes Gespräch über 30 Jahre Mitmachen bei Martin-Luther, Bauarbeiten in der Kirche, die große Liebe und was einen festen Glauben ausmacht. Hier für Euch einige Ausschnitte aus diesem Gespräch:
MH: Danke, dass Du dir anlässlich deines Ausscheidens aus dem GKR die Zeit nimmst, aus deiner Zeit in dieser Gemeinde zu berichten. Vielleicht zunächst einmal, was bewegt dich dazu, deine Mitgliedschaft im GKR aufzugeben?
DW: Ich war gerade erst vor Kurzem wieder im Krankenhaus und als ich zurückkam, habe ich mir gesagt: Detlev, womit hörst du auf? Und ich werde auch stückweise weitere Aufgaben abgeben müssen, aber mit dieser hier fange ich an. Beim Bauausschuss im Kirchenkreis habe ich schon Vorsorge getroffen. Da haben wir gleich nach der Wahl einen Vertreter für mich bestimmt. Da bin ich jetzt in der vierten Amtszeit und seit 14 Jahren Vorsitzender des Bauausschusses. Diese Arbeit macht mir viel Spaß. Außerdem bin ich seit 20 Jahren Mitglied im Kreiskirchenrat.
Besonders wichtig ist mir auch die Arbeit beim DIAKONIEWERK SIMEON. Ich bin seit 28 Jahren für Martin Luther in der Gesellschafterversammlung der Diakonie. Die ganzen Entwicklungen von den Gemeindeschwestern bis hin zur Fusion zum Diakoniewerk SIMEON habe ich mitgetragen. Ich sitze dort seit ca. 22 Jahren im Aufsichtsrat, war zeitweilig auch Vorsitzender des Aufsichtsrats. Das ist etwas, dass mir besonders am Herzen liegt. Denn damit kann ich der Gesellschaft eine Menge wiedergeben, was ich selber Gutes von der Gesellschaft empfangen habe während meines Lebens.
MH: Wie bist du zur Martin-Luther-Gemeinde gekommen?
DW: Als damals die Grenzöffnung war, habe ich an dem Stützpunkt in der Harzer Straße eine Werbung gesehen, dass diese Gemeinde noch Kinder für die Eltern-Kind-Gruppe aufnähme. So habe ich meine Tochter Britta hier angemeldet. Im Jahr1992 wurde meine Tochter Melanie bei ML von Pfarrer Carsten Minkner konfirmiert. Nach der Konfirmation sprach mich Monika Weber (damalige Pfarrerin [A. d. R.]) an, ob ich nicht Lust hätte, für den GKR zu kandidieren. Da ich von Beruf Bausachverständiger bin, wurde mir nach der Wahl schnell die Mitarbeit im Bauausschuss der Gemeinde anvertraut, eine sehr interessante Aufgabe. Dadurch bin ich in die Gemeinde eingetaucht.
MH: Welche schönste Baugeschichte möchtest du nicht vergessen?
Unser damaliger Pfarrer Dieter Spanknebel sprudelte vor unwahrscheinlichen Ideen. Er hatte die Idee: Der Gemeindesaal, so wie er ist, ist blöd: eine Tür zum Flur, die andere zum Hof. Man kam damals nicht vom Kirchsaal direkt in den Gemeindesaal. Das Café gab es schon, aber man kam nur vom Eingang hinein. Also warfen wir einen Blick auf die Unterlagen, und wir machten einen Plan: Wir brauchen eine Tür zum Café und eine Tür zum Kirchsaal. Da kam der Architekt Schlotter zusätzlich auf die Idee, wir machen eine große, runde Tür, die vom Kirchsaal aussieht wie ein Omega. Ich mag insbesondere das Altarbild im Kirchsaal und kam so auf die dazu passende Idee: Dann machen wir von der anderen Seite ein Fenster zur Straße in Form eines A, so dass man von der Straße Das Altarbild sehen kann. Es störte nur das Podest der Treppe. So haben wir das Omega von Herrn Schlotter und das Alpha von mir, wie Anfang und Ende.
Es hat eine Menge Spaß gemacht hier zu stehen und einfach zu machen. Im Jahr 2000 haben wir den Fußboden erneuert, den alten Kieselwaschbeton Belag raus und dem Natursteinboden mit dem Erinnerungsfeld eingebaut. Aus einer Baumaßnahme folgte bald die nächste, denn mit neuer Heizung an Stelle der alten Dampfheizung muss man beispielsweise auch die Fenster abdichten. Energetische Sanierung nennt man das heute. Immer hat eine Baumaßnahme die andere nach sich gezogen. Und wenn mal nichts im Gemeindehaus zu tun war, dann sind wir in die Kita gegangen. Bauen war hier immer unter dem Vorsatz: „Preiswert, aber qualitativ hochwertig!“. Aber wir haben nicht viele Firmen gehabt, die gerne für uns arbeiteten.
MH lacht: Haben wir etwa einen schlechten Ruf bei den Handwerkern?
DW: Ja und nein, weil der Weber immer so stark kontrolliert. (lacht)
MH: Was waren für dich hier in Martin-Luther die schönsten Erlebnisse oder Begegnungen?
DW: Auf einer GKR Sitzung 1993 habe ich neben unserer Diakonieschwester gesessen und habe mich dann auf der Stelle in diese Frau verliebt. Wir haben damals regelmäßig mit der Gemeinde Ausflüge gemacht, und ich bin 1993 mit zum Kirchentag nach München gefahren. Später dann auch mit zur Reise nach Wolgograd, wo wir dann zusammengekommen sind. Das ist meine große Liebe. Die bis heute mit allen Höhen und Tiefen Bestand hat.
Wir sind beide dieser Gemeinde sehr verbunden, und wir werden später mal beide zu den anderen Gemeindegliedern auf den alten St. Jacobi Friedhof ziehen. Wir kennen unseren nächsten Wohnort also bereits (lacht). Als damals das Gemeinschaftsgrab aufgelegt wurde, habe ich sofort gesagt, ja, ich geh dahin. Ich find es schön, dass ich dann auch im Tod mit der Martin-Luther-Gemeinde verbunden bin.
MH: Was wünscht du dir denn für die konkrete nahe Zukunft von Martin-Luther-Genezareth?
DW: Ich wünsche mir, dass diese Fusion, ohne dominant zu sein durch Martin-Luther einen guten, fruchtbaren Weg beschreitet und die Früchte des Segensbüros hier zum Tragen kommen. Wir waren immer eine sehr aktive, nach Außen ausstrahlende Gemeinde. Wir hatten große Straßenfeste, waren überall im Kiez bekannt. Das ist jetzt nicht mehr so. Ich wünsche mir, dass wir im Kiez wieder mehr dargestellt sind, dass den Leuten hier im Kiez Martin-Luther wieder kennen und nicht fragen: Wo ist das denn?
Ich wünschte mir für die Gemeinde, dass sie ein Leuchtturm in Neukölln ist. Das sie Präsenz zeigt. Wir gehören nicht in die zweite Reihe, wir gehören in die erste, auch als Kirche insgesamt. Wir leisten eine gute, qualitativ hochwertige Arbeit an der Gesellschaft. Wir sind, wenn wir wollen, eine ganz starke Macht.
Ich denke, dass Leute, die länger hier arbeiten, also länger als 25 Jahre hier in der Gemeinde tätig sind, die alten Ideen aus der Vergangenheit transparent in die heutige Zeit bringen sollten und damit wieder nach draußen gehen. Ich selber kann es nicht mehr. Meine Kräfte sind am Ende. Leider.
MH: Es scheint, dass eine Staffelstabübergabe ansteht: Was empfiehlst du deinen Nachfolger:innen? Was möchtest du ihnen mit auf den Weg geben?
Geht mit wachen Augen, frohen Mutes auf andere zu! Ich habe gelernt: Die eigenen Ideen muss man manchmal auch gegen Widerstände durchsetzen. Das ist das Wichtigste. Außerdem täte vielen Menschen in dieser Gemeinde auch gut daran, wenn sie sich öfter auf die vier Apostelngeschichten besinnen würden. Wir sollten alle wirklich die Evangelien lesen und daraus lernen.
Ich wünsche jedem/jeder, dass er/sie wirklich aktiv, vorbehaltlos hier ankommt und mitmacht und wenn einem Brocken zwischen die Beine geworfen werden, nicht stolpern, sondern aufrecht drüber weggehen. Das ist etwas, wo ich sage, das ist das, was hilft. Gradlinig und zielstrebig sein.
Ich wünsche der Gemeinde für die Zukunft, dass die Aktivitäten so wie sie hier über viele Jahre geherrscht hat, fortgeschrieben werden, mit den der heutigen Zeit entsprechenden Mitteln, dass die Öffentlichkeit wiederbelebt wird, auch wenn jetzt eine andere Zeit ist.
Man muss unbedingt das 125-jährige Jubiläum feiern und dies jetzt schon vorbereiten.
MH: Was ist das Wichtigste, was du in 30 Jahren Martin-Luther, nun Martin-Luther-Genezareth, gelernt hast? Gab es schwierige Situationen, die zu überwinden waren?
Martin-Luther hat mich wirklich Toleranz gelehrt. Diese Gemeinde hat mein Lebensweg stark verändert und dadurch, dass ich hier meine Partnerin kennengelernt habe, habe ich hier gelernt, mit anderen Meinungen umzugehen, nicht immer einer Meinung zu sein, die Meinung anderer zu respektieren. Ich habe hier gelernt nicht immer meinen Senf zu allem dazu zu geben und auch mal zu einer Sache zu schweigen. Was mich hier so geprägt hat, das war Toleranz. Wenn man mich auf die rechte Wange schlägt, halte ich auch die Linke hin.
Und schwierig ist, dass es unwahrscheinlich viele Scheinheilige gibt. Sie sollten sich enttarnen und zu guten Christen werden.
MH: Wie wird man deiner Meinung nach zu einem guten Christen?
DW: Indem man nachdenkt: Über sich, Gott und die Welt. Und dazu darf man sich auch Hilfe in den Evangelien holen. Am Lebenswerk Jesu kann man unwahrscheinlich viel übers Leben lernen. Und wenn ich das dann auch umsetzte, dann fang ich an den Balken in meinem eigenen Auge zu sehen, um bei dem Gleichnis von Matthäus zu bleiben. Matthäus ist sowieso mein Lieblingsevangelist.
Und was ist überhaupt ein guter Christ und ein schlechter Christ? Viele meinen, ein guter Christ sei der, der tut, was die Amtskirche lehrt. Aber ein guter Christ muss seinen eigenen Weg finden. Das Evangelium fängt mit Matthäus an. Da wird beschrieben, wie Jesus hingeht und bedrängt wird, dass er das Falsche lehrt. Das Volk geht hin und wendet sich den Pharisäern zu, und er redet weiter in seiner sanften Art und dann geht das Volk doch mit ihm. Was ist da mit dem Volk passiert? Wenn mich damit wirklich beschäftige, dann kann ich ein guter Christ werden.
Wenn ich das alles nüchtern betrachte, dann kann ich zum Glauben finden. Wenn ich aus den Evangelien meine Schlüsse ziehe, dann kann ich zum Glauben finden. Und das wünsche ich allen Lesern der Zeitung, dass sie für sich ihren Glauben finden. Denn jeder hat seinen eigenen Glauben, das zeichnet uns doch als Individuen aus.
MH: Was macht für dich eine gute Gemeinde aus?
Gutes Gemeindeleben ist, wenn möglichst viele der praktizierenden Christen friedlich und einträglich miteinander umgehen. Wenn kein Neid und kein Hass aufkommt zwischen den Menschen und sie sich bemühen, nach Gottes Gesetzten zu leben, und sie unsere heutige Zeit mit Leben füllen.
MH: Ich danke dir für das Interview, deine Offenheit, deine guten Wünsche und wünsche mir, dass wir dich und euch hier oft noch weiter sehen werden.
DW: Bitte gern geschehen. Es war sehr interessant mal über diese Fragen zu reden.